rezensionen

Rezensionen Hertel – CD

Johann Wilhelm Hertel: Cello & Organ Concertos (CPO)

Erstellt am 27. Februar 2021, von Sven Godenrath

Der Merseburger Hofmusik unter der Leitung von Michael Schönheit gelingt eine berührend Ausformung der Sinfonia in f major von Johann Wilhelm Hertel (1727-1789). Es folgt das Cello Concerto in A minor, wobei Bettina Messerschmidt die virtuosen Passagen, rhythmisch prägnant, mit hervorragenden dynamischen Abstufungen Ausformung und dann noch diese berührenden Pianopassagen. Das Organ Concerto in g major mit Michael Schönheit an der Orgel und als musikalischer Leiter begeistert zum einen ebenfalls durchs eine rhythmische Prägnanz und die herrlichen dynamischen Abstufungen bei der Orgel. Leider ähnelt die Sinfonia in d major von der charakteristischen Ausformung etwas zu sehr der vorangegangenen Sinfonie in F major, hier hätten die charakteristischen Unterschiede noch etwas feinsinniger herausgearbeitet werden können. Abschließend das Cello Concerto in A major, wiederum mit Bettina Messerschmidt am Cello. Auch hier begeistern auf Anhieb die feinsinnig ausziselierten Pianopassagen. Eine im großen und ganzen überaus gelungene CD Produktion, die man gehört haben sollte.


Rezension „Klassik heute“

Fünf Jahre trennen Johann Wilhelm Hertel (1727-1806) von Joseph Haydn (1732-1809), stilistisch allerdings gehört Hertel nicht zu den mutigen Erneuerern der Musik im 18. Jahrhundert wie Haydn, der ja den musikalischen Aufbruch seines Jahrhunderts das ganze Leben hindurch maßgeblich geprägt hat. Wo der Autodidakt Haydn seine musikalische Eigenart früh entwickelte und Zeit seines Lebens bewahrt und weiter entwickelt hat, blieb Hertel deutlich im Bann seiner Lehrer C. Ph. E. Bach, Carl Heinrich Graun und Franz Benda. Sein lebenslanges Wirken am mecklenburgischen Herzogshof in Schwerin gab seit 1754 Beständigkeit; allerdings verlagerte sich der Schwerpunkt seines Schaffens ab 1756 unter der Herrschaft seines zweiten Dienstherrn, des dem Pietismus anhängenden Herzogs Friedrichs des „Frommen“, auf die geistliche Musik.

Engagiertes Votum für Hertels Instrumentalmusik

Mit zwei Sinfonien, zwei Cellokonzerten und einem (Hertels einzig überliefertem) Orgelkonzert präsentiert diese CD ein breites Spektrum der Instrumentalmusik des Komponisten. Die Schweizer Cellistin Bettina Messerschmidt hat mit dieser CD ein Lieblingsprojekt verwirklicht, das sie über ein mit großem Engagement durchgeführtes Crowdfunding finanziert hat. In der Merseburger Hofmusik unter Michael Schönheit hat sie gleichgesinnte Mitstreiter gefunden. Sympatisch übrigens, dass die Musiker auf die Bezeichnung „Originalinstrumente“ verzichten und dafür die Formulierung „Instrumente historischer Mensur“ wählen, was dem Etikettenschwindel vorbeugt, moderne Nachbauten als gleichrangig zu echten historischen Instrumenten zu apostrophieren – das sollte Schule machen! 

Wenn auch Hertel im Vergleich mit Joseph Haydn – wie übrigens die meisten von Haydns komponierenden Generationsgenossen – zurückbleibt, kann der Rezensent seiner charmanten Musik die Sympathie nicht versagen; und findet er dann auch noch so engagierte und liebevoll musizierende Anwälte wie Bettina Messerschmidt, die Merseburger Hofmusik und Michael Schönheit, ist das unterhaltsame Hörvergnügen perfekt. 

Detmar Huchting, 15.03.2021


Rezension cpo

Perlen vom Schweriner Hof

Es sind wirklich kleine musikalische Perlen. Fünfzehn an der Zahl und alle nur zwischen zwei und sieben Minuten lang. Aufteilen an der Perlenschnur der neuen Hertel-CD tun sich die Perlen in zwei kurze Sinfonien, zwei erst in den 90ern wiederentdeckte Cellokonzerte und – quasi als Mittelpunkt – das einzige Orgelkonzert Hertels. Alle fünf Kompositionen sind typische Vertreter der Nach-Bach-Zeit, Musik mit viel Temperament, Tanz und Spielfreude. Die bringen auch die Interpreten auf. Cellistin Bettina Messerschmidt hat hörbar Freude an den „neuen“ alten Kompositionen, die das Cello-Repertoire erfreulich bereichern. Dirigent und Orgelsolist Michael Schönheit bringt die Perlen zum Glänzen und lässt ahnen, welche Freude sie seinerzeit bei Hofe erzeugt haben mögen. Da alle Musikanten auf historischem Instrumentarium spielen, ist auch die Annäherung an das historische Klangbild gewährleistet. Summa summarum: Eine echt gelungene Hertel-CD, die in allen Teilen Spaß macht.

Meiernberg


Besprechung der Hertel-CD im SRF-Musikmagazin von 27.03.2021


Rezensionen Samuel Scheidt: Liebliche Krafftblümlein


Rezension cpo

Kostbare textlich-musikalische Schönheiten

Ein wunderbares Resümee (s. Überschrift) für diese neue Scheidt-CD. Sie findet sich im Booklettext versteckt auf Seite 8. Selten habe ich Gesänge gehört, die so intensiv den Luthertext vertonen und ihn musikalisch überhöhen. Die Melodien der Texte dürften den meisten Hörern aus den Choralbüchern der christlichen Kirchen bekannt sein, die u.a. J.S.Bach auf wunderbare Weise vertont hat. Natürlich verwendet Scheidt seine eigenen Melodien, die er, ganz ähnlich Schütz, in diese kostbaren Schönheiten verwandelt. Mit sparsamsten Mitteln werden die Dialog-Gesänge begleitet und überlassen den Texten so die (fast) ganze Wirkung. 13 Gesänge enthält die CD in, wie man lesen kann, Ersteinspielungen. Die beiden Solisten sind tadellos. „Eingerahmt“ werden die Stücke von drei Instrumentalkompositionen: eine von Buxtehude und zwei von Kapsberger. Wunderbar vorgetragen von Solistinnen des Collegium Instrumentale aus St.Gallen. Das Booklet ist prima. Nur mit einer Angabe komme ich nicht klar: Angekündigt werden die „Liebliche Krafft-Blümlein“ als „Zwölf Continuo-Begleitende Duette“. Nach wiederholtem Zählen komme ich aber auf 13(!!). Egal. Vielleicht habe ich ja was übersehen und zuviel ist immer besser als zu wenig. Trotzdem eine sehr lohnende Anschaffung für das Repertoire des Frühbarock.

Meiernberg, März 2023


Rezension Klassik heute

Samuel Scheidt (1587-1654), durchaus ein Name für wirkungsvolle Instrumentalstücke – besonders für Bläser – und die Orgelwerke der Tabulatura Nova, wird als Vokalkomponist immer noch unterschätzt. Abhilfe kommt jetzt aus St. Gallen mit der Weltersteinspielung aller 12 geistlichen Konzerte für zwei Singstimmen und Generalbass, die er im Jahre 1635 unter dem typisch barocken Titel „Liebliche Krafft Blümlein“ in Druck gab.

Neue Konkurrenz für Heinrich Schütz?

Samuel Scheidt erhielt den prägendsten Teil seiner Ausbildung in Orgelspiel und Komposition zwischen 1607 und 1609 bei Jan Pieterszoon Sweelinck (1561-1621), dem „norddeutschen Organistenmacher“, in Amsterdam. In seinen Vokalwerken kann Sweelinck als einer der letzten Ausläufer der franko-flämischen Schule angesehen werden. Diese Schulung und Scheidts spätere Zusammenarbeit als Hallenser Hoforganist mit dem von der italienischen Mehrchörigkeit faszinierten Hofkapellmeister Michael Praetorius (1571-1621) prägten seinen frühen Vokalstil. Die Werke dieser Zeit haben nie die Popularität der Vertonungen eines Johann Hermann Schein (1586-1630) oder Heinrich Schütz (1585-1671) – mit denen er die „Drei großen S“ der deutschen Musikgeschichte im 17. Jahrhundert bildet – erreicht, da sie allzu streng erscheinen und dem Affekt weniger Raum geben.

Umso erstaunlicher, dass die 12 geistlichen Konzerte auf Bibelkompilationen der „Lieblichen Krafft-Blümlein“, die auf eine offensichtlich intensive Beschäftigung mit dem 7. Madrigalbuch von Claudio Monteverdi (1567-1641) schließen lassen, so affektgeladen einherkommen. Scheidt nutzt das gesamte damals bekannte Repertoire an rhetorischen Figuren, um dem Hörer den Textinhalt auszulegen. „Singet dem Herren“ und „Ich freue mich“ sind als Ritornell-Form gebaut, wie wir sie aus der zeitgenössischen italienischen Oper kennen. Dissonanzenketten erhalten gelegentlich eine geradezu erotische Intensität („süßer denn Honig und Honigseim“, Track 9 gegen Ende). Ein Text wie „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen“ und „Sie haben am Abend das Weinen“ (Ende Track 5) wird in aller Schmerzlichkeit ausgedeutet, die der 30-jährige Krieg über die Menschen brachte. Witzig das eingestreute „Eia wär‘n wir da“ aus „In dulci jubilo“ in das Sommerstück „Herzlich tut mich erfreuen“. Bei höheren Anforderungen an die Sänger, was Intonation bei schnellen Tonartwechseln und Geläufigkeit anbelangt, sind sie somit den „Kleinen geistlichen Konzerten“ von Schütz mindestens ebenbürtig.

Wiederentdeckte Kostbarkeiten, neu belebt

Marie Luise Werneburg und Daniel Johannsen gelang mit ihrer famosen Continuo Gruppe Michael Wersin (Orgel), Andrea Cordula Baur (Chitarrone) und Bettina Messerschmidt (Violoncello und Violoncello piccolo) eine fulminante Ersteinspielung. Die Stimmen von Sängerin und Sänger harmonieren so perfekt, dass ich ein paar überflüssige eingeschobene „h’s“ gern ignoriere. Die Intonation ist makellos, es werden stilsichere Verzierungen angebracht und vor allem: der Text wird sauber artikuliert und in die Linie eingebunden, ohne dass überdeutlich Konsonanten gespuckt werden müssen. So etwas nennt man Stimmbeherrschung und Phrasierung aus dem Wortsinn. Bravo!

Ihr hohes Niveau beweist die Continuo-Gruppe nicht nur durch eine affektgemäße Ausgestaltung der Bezifferung, sondern auch durch die eingestreuten Werker von Johann Hieronymus Kapsberger (um 1580-1651) und Dieterich Buxtehude (1637-1707).

Aufnahmetechnisch wurde alles richtig gemacht. Der Booklet-Text des Spiritus Rector der Einspielung, Michael Wersin, ist lesenswert.

Fazit: Man wundert sich, dass diese delikaten Werke nicht eher eingespielt wurden. Allerdings ist die Quellenlage kompliziert: Das Werk wurde in drei Stimmbüchern gedruckt, deren Exemplare sich über mehrere Bibliotheken verteilen und nicht alle mehr lesbar sind. Eine moderne Edition findet sich nur in der Gesamtausgabe zu entsprechendem Preis. Hier wäre – zumal sie wegen der eher tiefen Tessitur auch für Mezzos und Baritone machbar sind – dringend eine praktische Ausgabe vonnöten. Somit: Es muss nicht immer Schütz sein! Klare und herzliche Empfehlung!

Thomas Baack, 17.04.2023


AUS DEM ST. GALLER TAGBLATT VOM 3. APRIL 2023, von Bettina Kugler
Unverwüstliche Zuversicht in schlimmen Zeiten: Eine CD der St.Galler Dommusik leuchtet hell aus dem Barock ins Heute

Die Sopranistin Marie Luise Werneburg und Tenor Daniel Johannsen singen auf der neuesten Aufnahme der Dommusik unter der Leitung von Michael Wersin frühbarocke geistliche Duette von Samuel Scheidt. Die Sammlung «Liebliche Krafft-Blümlein» entstand, während der Dreissigjährige Krieg wütete – und die Pest.

Wie eine Rosenblüte, die im Morgentau sacht ihre Blätter öffnet, so tut sich auf dieser CD mit den ersten Tönen eine vermeintlich heile, staunenswert schöne – aber auch höchst zerbrechliche – Welt auf. Andrea Cordula Bauer, als Musikerin des Collegium Instrumentale häufig bei Konzerten an der St.Galler Kathedrale zu hören, spielt eine Toccata des Barockmeisters Johann Hieronymus Kapsperger (ca. 1580–1651) auf dem zur Lautenfamilie gehörenden Chitarrone. Die Truhenorgel breitet darunter ein moosweiches Akkordbett aus – als sollten Coverbild und Titel der im März beim Label cpo veröffentlichten CD mit allen Sinnen erfahrbar gemacht werden.

Vokale Idealbesetzung und frisches, aufmerksames Musizieren «Liebliche Krafft-Blümlein, aus des Heyligen Geistes Lustgarten abgebrochen», so nannte Samuel Scheidt (1587–1654) seine Sammlung von geistlichen Duetten; klein besetzter, intimer Musik. Das ist keineswegs Ausdruck kitschig-versponnener Frömmelei. Sondern angesichts der Zeit, in der Scheidt als Hoforganist zu Halle wirkte und komponierte, klingendes Zeugnis eines schier unverwüstlichen Gottvertrauens. Der Dreissigjährige Krieg durchzog Europa mit Gewalt und Verwüstung, die Pest tat ein Übriges: Scheidt verlor während der Epidemie vier Kinder. Und schuf gleichwohl ein Werk, das durch die Jahrhunderte hell und tröstlich in die Gegenwart strahlt.

Michael Wersin, Studienleiter an der Diözesanen Kirchenmusikschule St.Gallen, konnte für das lange vergessene frühbarocke Repertoire zwei renommierte Solisten gewinnen, beide stammen sinnigerweise aus einem evangelischen Pfarrhaus: die Sopranistin Marie Luise Werneburg und Tenor Daniel Johannsen. Sie sind eine Idealbesetzung, um die «Krafft-Blümlein» zum Blühen zu bringen, mit klar timbrierten, leicht geführten Stimmen, natürlicher Textverständlichkeit und Ausdruckskraft. Ihren belebenden Geist entfaltet die Musik auch durch das frische, aufmerksame Zusammenspiel mit der Generalbassgruppe. Und zwischen die «Blümlein» streut Cellistin Bettina Messerschmidt mit der D-Dur-Sonata von Dietrich Buxtehude noch eine edle Perle.


Besprechung Samuel Scheidt: «Liebliche Krafft-Blümlein» in SRF – Musikszene CH vom 6. Mai 2023, Redaktion: Valerio Benz